Förder-Projekte
Gas
Zwei-Personen-Stück mit einer Schauspielerin und einem Tänzer im theater hof/19
Was würdest Du tun, wenn Dein Kind zum Attentäter geworden ist? Bin ich verantwortlich für sein Handeln? Um diese Fragen kreist der Monolog einer Mutter, deren Sohn einen Giftgasanschlag in einer U-Bahn verübt hat. 184 Menschen kamen dabei ums Leben. Er selbst wurde von Polizisten erschossen. Seine grausame Tat hinterließ eine fassungslose Gesellschaft – und eine Mutter, die nach Antworten sucht. „Warum er?“
Im Selbstgespräch setzt sie sich mit der Frage nach Schuld auseinander. Sie erzählt von ihrem Leben als alleinerziehende Mutter, erinnert sich an die Geburt, die Kindheit und Jugend, die Talente und Eigenheiten ihres toten Sohnes. Sie vergegenwärtigt sich ihre Beziehung zueinander, lässt ihre Liebe, ihr Unverständnis zu und rekonstruiert, wie der Sohn ihr langsam entglitt. Sie fragt sich, ob all ihre Fürsorge zu nichts nütze gewesen sei und sie als Mutter gescheitert ist. Hat sie die Zeichen nicht rechtzeitig erkannt, bevor sie ihn an eine Ideologie verloren hat? Und was suchte er, als er nach Syrien ging? Warum wurde er zum Dschihadisten?
Der tote Sohn kann ihr keine Erklärung mehr geben, er ist nur noch als Erinnerung präsent. „Wir haben diese Figur deshalb mit einem Tänzer besetzt“, beschreibt Dieter Hinrichs, einer der beiden Leiter vom theater hof/19 in Oldenburg, die Idee der Inszenierung des Stückes. In das Spiel mischen sich Toncollagen mit arabischer Musik. „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“– ist längst nicht mehr nur islamische Gebetsformel, sondern geriet zur Parole des Terrorismus. Im Tanz wird die Radikalisierung sichtbar gemacht. Das Begehren des vermeintlichen Heldentums wird in Bewegung übersetzt, bis der Sohn schließlich die Pose des unbarmherzigen IS-Kämpfers einnimmt. Ein letztes Mal sah die Mutter ihn im Leichenschauhaus, durchlöchert von Kugeln wie ein erlegtes Monster. Dennoch bleibt er das geliebte Kind, und so sucht sie auch Rechtfertigungen, die ihn entlasten. „Heldentum ist eine Frage von Timing und Kontext“, stellt sie fest. Und tragen nicht die Medien zu dem Größenwahn bei, indem sie jedem ein Leben als Superstar versprechen? Gibt das Internet den Extremisten eine unkontrollierbare Plattform?
Sie konnte ihrem Sohn nie viel bieten. Vielleicht wollte er der trivialen Welt entfliehen oder ein Robin Hood des westlichen Systems werden. Im Nahen Osten angekommen, blieb er ein konvertierter Europäer, „ein Statist auf der Suche nach einer Hauptrolle“. Nur eine Gewalttat kann so ein Fiasko umbiegen, glaubt die Verzweifelte. War die Ermordung so vieler Menschen am Ende nur der Wunsch nach Anerkennung oder Kalkül, um für immer in die Geschichte einzugehen? Jetzt ist sein Bild auf allen Titelseiten. „Mit der blödsinnigen Mütze und dem Bart“ erkennt sie ihn kaum wieder.
Die Erklärungssuche stammt aus der Feder des flämischen Autors Tom Lanoye, der ein eindrückliches, sehr persönliches Bild des Terrors entworfen hat. Mutter und Sohn bleiben namenlos. „Gas“ ist ein intensiver Monolog, der zwischen Liebe und Abscheu pendelt, tiefgehend, sensibel und schonungslos ist. Gleichzeitig ist die Geschichte ein Spiegel der Gesellschaft. „Wieviel menschenverachtendes Potential zeigt sich in den Anschlägen“, fragt Frauke Allwardt, Leiterin des theater hofs/19. Fragen wie diese betreffen uns alle. Im Gedenken an die Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza oder Berlin ist das Stück hochaktuell. Die Premiere findet am 22. November 2018 statt.