Unpolitische Orte?

Sportstätten im Oldenburger Land

Sportstätten sind Orte der Bewegung und der Fitness, aber mehr noch Orte der Gruppendynamik und des Wettkampfs. Dabei hat die Medaille zwei Seiten. Je stärker das Gemeinschaftsgefühl, desto größer ist die Gefahr der Ausgrenzung und Manipulation.

Dass Sportstätten keine harmlosen Treffpunkte sind, an denen nach dem Tennis-Match oder dem Fußballspiel noch gemeinsam eine Cola im Vereinsheim getrunken wird, das zeigt jetzt ein neues Forschungsprojekt der Oldenburgischen Landschaft. Unter dem Titel „Unpolitische Orte? Sportstätten und ihre gesellschaftliche Bedeutung“ ging das Projekt im Juli 2021 an den Start und wirkt inzwischen bundesweit. 

Bei der tiefschürfenden Untersuchung der lokalen Sportplätze und Turnhallen wird der Fokus auf die Jahre von 1930 bis 1970 gelegt, denn es ist zugleich jener Zeitraum, in dem die Chroniken der Vereine und Sportstätten große Lücken aufweisen. „Aufgrund dieser Defizite sehen wir hier großen Aufklärungsbedarf. Von den Institutionen selbst werden im Rückblick nicht selten nur die Erfolgsgeschichten erzählt, doch auch die dunklen Kapitel müssen ihre Beachtung finden“, erläutert die Projektleiterin Merle Bülter. Vor allem jungen Menschen ein Geschichtsbewusstsein zu vermitteln, ist Ziel des Projekts. 

„Bis heute verstehen sich selbst große Verbände wie die UEFA eher als unpolitisch, doch wir möchten ins Bewusstsein rücken, dass Sport mehr ist als eine reine Freizeitbeschäftigung“, ergänzt Markus Völling als studentischer Mitarbeiter des Projekts. Er hat sich intensiv mit den Sportvereinen in der Zeit des Nationalsozialismus befasst. „Nach dem Führerprinzip der Nazis wurde der Vereinsvorstand durch einen Vereinsführer ersetzt“, so Völling. „In der Folge wurde der sogenannte ‚Arierparagraph‘ eingeführt, welcher die Aufnahme nichtarischer Mitglieder verhinderte und ebenso für deren Ausschluss sorgte. Vor diesem Hintergrund“, schließt Völling, „waren die Sportstätten auch ein Ort der Indoktrinierung der Bevölkerung.“ 

Als Beispiel der Untersuchung dient die Sportanlage ‚Hössen‘ in Westerstede. Nachdem die sogenannte Hössenweide, zu der ein etwa zwei Hektar großer Wald gehörte, im Jahr 1926 von der Gemeinde Westerstede erworben wurde, diente sie ab 1927 als Sportplatz für Fußball, Sprung und Kugelstoßen. Die folgenden Jahre sind in der Vereinshistorie ein weißer Fleck. Jüdische Sportlerinnen und Sportler wurden bereits nach der Gleichschaltung 1933 ausgeschlossen. Als die Turn- und Sportgemeinde, kurz TSG, eine Turnhalle und eine Laufbahn planten, die Stadt jedoch nicht über die nötigen Mittel verfügte, wurde die NSDAP um einen finanziellen Zuschuss gebeten. Im Gegenzug wurde die Partei Grundstückseigentümer. Die Sporthalle der SA, die 1940 fertiggestellt wurde, zeigt mit dem auffälligen Säulenportal die typische Nazi-Architektur. Zeitgleich wurde zu den ersten Hössenwettkämpfen eingeladen. Die Geschichte der Westersteder Sportanlage ist kein Einzelfall.  

Der Ausschluss von Sportlerinnen und Sportlern geschieht noch immer, sei es aufgrund der Herkunft, Sprache oder Religion. Mobbing beginnt mitunter schon in der Umkleidekabine. „Nur Aufklärung kann davor schützen, dass junge Menschen ein Bewusstsein über Ausgrenzungsmechanismen und Integration entwickeln“, sagt Merle Bülter, „und das geschieht am wirkungsvollsten an einem Ort, den die Kinder und Jugendlichen selbst kennen, mit dem sie sich identifizieren können. Indem wir mit dem Thema Sport konkret an ihre Lebenswirklichkeit anknüpfen, sind Themen wie Ausgrenzung oder Inklusion nicht so abstrakt.“ 

Um das Projekt unter den jungen Menschen bekannt zu machen, gehen Merle Bülter und Markus Völling in die Schulen und Universitäten. Gemeinsam mit Archiven, Heimat- und Ortsvereinen, Museen und Bibliotheken unterstützen sie interessierte Schülerinnen und Schüler sowie Studierende bei Forschungsarbeiten, Hausarbeiten oder Zeitzeugen-Interviews. Die Turnhallen und Sportareale werden nicht nur theoretisch untersucht, sondern auch gemeinsam besucht. Die überregionale Vernetzung ist im Aufbau und ein Podcast und eine Publikation sind geplant. Wer Interesse hat, sich seiner lokalen Sportstätte zu widmen, ist willkommen. 

Initiiert hat das Forschungsprojekt Prof. Dr. Uwe Meiners, seit 2019 Präsident der Oldenburgischen Landschaft und gebürtiger Westersteder. Von 1996 bis 2018 war er Direktor des Museumsdorfes Cloppenburg. Jahrgang 1952, ist dem studierten Volkskundler die Hössensportanlage seit der Kindheit vertraut. 

 

Mehr Informationen unter oldenburgische-landschaft.de