„Analog 66“. Oldenburger Porträts von Stefan Meyer-Bergfeld

„Analog 66“– mit diesem Titel ist die neue Ausstellung überschrieben, die Fotografien von Stefan Meyer-Bergfeld zeigt. Was heißt das nun? „Analog“ verweist hier auf das Gegenteil der Digitalfotografie. Zu sehen sind also Bilder, die – wie früher – auf Film aufgenommen wurden. Die „66“ spielt auf die Technik an. Meyer-Bergfeld fotografiert mit einer Hasselblad-Kamera 500 C aus dem Jahr 1966 und damit aus der Zeit vor der digitalen Fotografie.

Jahrgang 1963, hat Meyer-Bergfeld noch eine traditionelle Fotografen-Ausbildung durchlaufen und alles analog gelernt. Bis heute kann er der alten Technik weit mehr abgewinnen als der digitalen Version: „In den Höhen und Tiefen kann der Film weit mehr als die digitale Aufnahme. Im Gegensatz zur Flächigkeit der Pixeloptik erscheinen die analogen Fotos sehr viel plastischer." Für die Porträtserie wählte er die puristische Urform der Schwarz-Weiß-Aufnahme vor  immer demselben schlichten Hintergrund, damit nichts vom eigentlichen Thema ablenkt – dem Gesicht. Vier Jahre lang hat Meyer-Bergfeld an dem Projekt gearbeitet. Er hat Persönlichkeiten der Stadt fotografiert, aber auch unbekannte Gesichter. Welche Tätigkeiten die jeweiligen Menschen ausüben, lässt sich in der Ausstellung den Schildern entnehmen. Die Besucher begegnen Oberbürgermeister Jürgen Krogmann, der Läuferin Ruth Spelmeyer, dem Künstler Thomas Schütte, der Marktfrau Linda Bastwäste, dem Raumfahrer Thomas Reiter, der Fotolaborantin Xi Lu, dem Schauspieler Orhan Muestak, dem Kellner Lars Görg und dem Busfahrer Jasbir Songh Dhot, der wegen seines rasanten Fahrstils als „Turbo-Turban“ bekannt ist. Gemeinsam ist allen Porträtierten eine Verbindung zu Oldenburg, weil sie hier geboren wurden, hier leben oder arbeiten.

„Es ging mir bei diesen Arbeiten auch darum, ein Bild der Stadt zu konservieren. Nach der Ausstellung gehen die Bilder deshalb in das Archiv des Stadtmuseums über. Und auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich die analoge Aufnahme von der digitalen. Papierabzüge wie diese lassen sich etwa 200 Jahre aufbewahren und die Negative sind noch hunderte Jahre länger haltbar. Ob das mit unseren digitalen Daten möglich ist, weiß keiner“, erläutert der Fotograf.

Konzeptionell ist „Analog 66“ den Fotodokumentationen von August Sander verwandt. Vor hundert Jahren, schreibt Klaus Modick im begleitenden Katalog, hat Sander unter dem Titel „Antlitz der Zeit“ Menschen aus alle Schichten, Berufen und Lebenswelten fotografiert und damit einen Spiegel des Menschenbilds der Weimarer Republik geschaffen. "Auch wenn Stephan Meyer-Bergfelds Projekt bescheidener daherkommt, weil es nicht die Gestalten eines ganzen Landes versammelt, sondern nur die Gesichter einer kleinen nordwestdeutschen Großstadt, ist es doch mit Sanders Verfahren vergleichbar. Beide Bildserien zeigen ein Panorama physiognomischer Vielfalt, doch in unserer Epoche von globaler Migrationsbewegung wirken Meyer-Bergfelds Ergebnisse viel internationaler und polyglotter als zu Sanders Zeiten. Vor diesem Hintergrund ist die Serie „ein wichtiger Beitrag zum Gedächtnis unserer Stadt“, hebt die Kuratorin Dr. Sabine Isensee hervor.

Im Bildformat von 60 x 60 cm erscheinen die Porträtierten maßstäblich in fast „realen“ Größenverhältnissen. Dass die Betrachter alle direkt aus dem Bild herausschauen, ist Teil des Konzepts: Je länger man in die einzelnen Gesichter hineinblickt, desto intensiver scheinen sie zurückzublicken. „So wird der Betrachter selbst zum Betrachteten, was eine interessante Wechselwirkung schafft“, führt Meyer-Bergfeld aus. Es geht also weniger um Anschauen als vielmehr um Begegnung. Damit dieser Prozess nicht von Reflexionen auf dem Glas gestört wird, hängen die Fotografien ungerahmt an den Wänden. 

Stephan Meyer-Bergfeld, Jahrgang 1963, ist in Glücksburg an der Flensburger Förde aufgewachsen, absolvierte von 1988 bis 1991 eine Ausbildung zum Fotografen an der Landesberufsschule Photo + Medien in Kiel und im Werbestudio Wöltje in Oldenburg. Seit 1992 ist Meyer-Bergfeld als selbstständiger Fotograf freiberuflich tätig, zunächst in Hamburg und seit 1995 in Oldenburg. 1994 erhielt er Reinhart-Wolf-Preis, der jährlich vom Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF) vergeben wird.

 

Die Ausstellung „Stephan Meyer-Bergfeld:  Analog 66 – Oldenburger Porträts“ läuft vom 11. Oktober bis 6. Dezember 2020. Begleitend erscheint ein Katalog mit Texten von Sabine Isensee und Klaus Modick sowie ganzseitigen Abbildungen aller 100 Fotografien.