Bahnhofstraße/Milchstraße

Malerei von Stefan Ettlinger in der Kunsthalle Wilhelmshaven

Alljährlich präsentiert die Kunsthalle Wilhelmshaven eine wichtige Position deutscher Gegenwartskunst – diese Tradition wird mit Malerei von Stefan Ettlinger nun fortgesetzt. Es ist gleichzeitig die erste Retrospektive des Künstlers, der 1958 in Nürnberg geboren wurde und heute in Düsseldorf lebt. Sein Werk stellt einen unverwechselbaren Beitrag zur gegenständlichen Malerei ab 1985 dar. Ettlinger studierte bei Alfonso Hüppi an der Kunstakademie Düsseldorf als sein Meisterschüler. Mit über hundert Arbeiten wird jetzt das formale und inhaltliche Spektrum des Künstlers gezeigt – zusammengesetzt aus Zeichnungen, Eitempera- und Acrylmalerei auf großformatigen Leinwänden. „Es war ein Abenteuer, die Werke zu versammeln, denn Ettlinger hat bereits früh erfolgreich verkauft“, erklärt die Leiterin der Wilhelmshavener Kunsthalle, Dr. Viola Weigel. So kostete es viel Zeit und Mühe, die heutigen Standorte all seiner Arbeiten zu ermitteln, um eine Retrospektive in diesem Umfang zu zeigen – doch es gelang. Ettlingers Bildwelten sind sichtbar von den Massenmedien geprägt, die heute unsere alltägliche Wahrnehmung bestimmen. Dabei wird das Zappen – oder Switchen – zum künstlerischen Prinzip erhoben. Sein visuelles Material findet Ettlinger in Bildern vor, die bereits existieren. Einzelne Segmente aus der medialen Bilderflut fügt er collagenhaft zusammen. Damit ergeben sich surreale Momentaufnahmen, deren zeitliche Verortung unmöglich erscheint. „Geisterartig“, beschreibt Weigel, bewegen sich die Figuren durch seine Bildwelten. Raum- und Zeitsprünge finden wir in Ettlingers Werken immer wieder. Dabei hängt der Künstler keinem besonderen Sujet an, sondern interessiert sich für alle Themen dieser Welt. Bereits der Ausstellungstitel ist Schlüssel zu seinem Werk: Bahnhofsstraße/Milchstraße spielt zunächst auf die thematische Bandbreite an. Der Schrägstrich zwischen den Orten verweist auf den „Zapp“. Während man die Welt vor einigen Jahrhunderten noch erwandern, sich also von hier nach dort bewegen musste, geschieht das heute sekundenschnell. Mit der Fernbedienung sind wir hier/dort. Der Weg dazwischen wird beim Zappen übersprungen. Spontan können wir heute per Video oder googlemaps jeden Raum virtuell beschreiten und Freunde im Chat oder via skype kontaktieren. Ettlinger verdeutlicht die Absurdität unserer Sehgewohnheiten, die wir als schlichtes Alltagsphänomen begreifen oder kritisch hinterfragen können. Wie oft erwischen wir uns beim nebensächlichen Streifen durch die Medienwelt, ohne dem große Bedeutung beizumessen? Als Student widmete sich Ettlinger intensiv dem Film, aber auch der der Performance und der Musik. Damals war er Mitglied der „Anarchistischen Gummizelle“. Dieser Neopunk hat sich immer wieder in das malerische Werk eingeschlichen, bemerkt die Kuratorin. Sein Faible für Film führte zu comicartigen Serien im cineastischen Stil. So ist in der Ausstellung eine siebzigteilige (!) Folge in A3-Formaten zu sehen. Die umfangreiche Schau, die Ettlingers künstlerischen Werdegang von 1985 bis 2015 veranschaulicht, läuft vom 18. Juli bis 11. Oktober 2015.