»Geile Sybillchen«

Ausstellung zeigt erotische Fantasien von Horst Janssen

Das Horst-Janssen-Museum hat den erotischen Kosmos des Künstlers, der mit Wollust und Fantasie gefüllt ist, geöffnet. Die Erotik ist ein Thema, das Horst Janssen zeitlebens umtrieb. In der Ausstellung, die am 19. Juni eröffnet wurde und noch bis zum 16. November läuft, werden rund 170 Arbeiten aus allen Schaffensphasen präsentiert. Bereits Janssens erste Radierungen zeigen versponnene Bilderfindungen: Mit zart gezeichneten Konturen vollziehen sich Liebesspiele zwischen Männern, Frauen und Zwitterwesen. Der Zyklus „L’Heure de Mylène“ aus dem Jahr 1962 zählt zu den bedeutenden Graphikserien in Janssens Frühwerk.

Hier wird die radierte Linie zur Provokation. Janssen spannte zeichnerisch Fäden wie Tentakeln, die die Protagonisten in grotesker Vereinigung miteinander verspannen. Die Arbeiten der fünfziger und sechziger Jahre zeigen nachvollziehbar, wie sich Janssens Obsession für die Erotik herauskristallisiert. In den sechziger Jahren begann Janssen die Flächen zu füllen und machte mit aufwändigen „Millionenstrichzeichnungen“ Furore, für die er 1968 den Sonderpreis für Grafik der Biennale ­Venedig erhielt. Mit dicht gesetzten Bleistift- und Buntstiftstrichen erreichte er beeindruckende ­Plastizität, die seine Figuren zu Fleisch werden lassen. Aus dieser Ära stammen die Bilder der „geilen Sybillchen“, die Momente von Liebkosung bis zur Folter wiedergeben. Körper werden festgezurrt, Muskeln wölben sich, Klammern beißen sich in die Haut. Immer wieder machte Janssen seine Kunst zu einer Bühne erotischer Darstellungen, die mit der Aquarellsuite „Phyllis“ den faszinierenden Höhepunkt von virtuoser Inszenierung erreicht. Die ­romantisch anmutende Kulisse des Geschehens kontrastiert mit Entladungen von gewaltvollen Fantasien. Schonungslos wird der weibliche Körper zum Exerzierfeld sadomasochistischer Vorstellungen. Als Verehrer der Alten Meister widmete sich Janssen auch der Begegnung von Mädchen und Tod – in Dichtung und Kunst ein jahrhundertealtes Sujet, das um Schönheit, Erotik und die Blüte des ­Lebens, aber gleichsam auch um den leiblichen Verfall und die Vergänglichkeit kreist. Janssen erweiterte das Motiv zu einer Erzählung, die mit der Aufforderung zum Tanz beginnt und in der Ekstase endet. In diesen Kontext gehören die pornografischen Bildgeschichten „Brief an Mirjam“ und „Postscriptum“, in denen die Figuren zunächst aus Fleisch und Blut bestehen und schließlich als Skelette dargestellt sind. Dass sein künstlerisches Schaffen immer wieder von Frauen angetrieben wurde ist bekannt. Jede der einzelnen Gefährtinnen löste in ihm eine neue Werkphase aus. Frauen waren zentraler Anreiz für die sexuellen Fantasien, die Janssen jedoch nur auf dem Papier oder der Radierplatte auslebte. Selbst in der Landschaft entdeckte er erotische Aspekte, die er anspielungsreich umsetzt, wenn zum Beispiel die Ansicht einer Kopfweide einen Phallus andeutet. Mit seinen einzigartigen Fiktionen gilt Janssen als einer der großen Erotiker in der Bildenden Kunst.