Literarischer Landgang 2016

Marion Poschmann folgt Matthias Politycki als zweite Stipendiatin

Vom 30. Mai bis zum 5. Juni war ich mit dem Schriftsteller Matthias Politycki im Oldenburger Land unterwegs. Er unternahm diese Reise nicht zum ersten Mal. 2015 hatte er vom Literaturbüro Oldenburg auf der Grundlage einer Förderung durch die Kulturstiftung der Öffentlichen Versicherungen Oldenburg das Landgang-Stipendium erhalten, ein Reisestipendium durch das Oldenburger Land. Deshalb führte ihn schon im Herbst des letzten Jahres eine Erkundungstour von Oldenburg nach Cloppenburg, Lohne, Delmenhorst, Nordenham, Horumersiel und Westerstede. Er bezog Quartier in den Städten und bewegte sich weit in ihr Umland hinein.

Das Wesen der Provinz

Direkt nach seiner herbstlichen Erkundungstour verfasste er während eines längeren Japan-Aufenthalts den Reisebericht „Wo ist überhaupt noch Provinz? Das Oldenburger Land, von Osaka aus betrachtet“. Aus der japanischen Mega-City schaut er zurück auf die zuvor von ihm bereiste Region, die im direkten Vergleich auf den ersten Eindruck provinziell erscheinen mag. Sein unvoreingenommener Blick auf die Städte, die Landschaften und die Einrichtungen des Oldenburger Landes offenbart jedoch schnell, dass solche Etikettierungen allzu plakativ blieben. So findet Politycki provinziell Anmutendes auch in der japanischen Großstadt und einige Hot Spots der Globalisierung im Oldenburger Land. Sein Text handelt die Stationen des Landgangs nicht der Reihe nach ab. Genereller ist sein Interesse, und das jeweils Typische an seinen Beobachtungen – hier wie dort – stellt er in einen klugen Vergleich. „Provinz, wie man sie noch bis zur Jahrtausendwende kannte, gibt es anscheinend in Reinform gar nicht mehr“, bilanziert er. „Sie ist nur auf andere Weise globalisiert als die Metropolen, und man muss doppelt so genau hinblicken wie dort, um es zu erkennen.“ Als Bürger des 21. Jahrhunderts „wechseln wir ständig zwischen diesen beiden Extremen, wo auch immer wir sind oder wohnen, und das nicht selten mehrmals täglich. Selbst im Oldenburger Land, wir können gar nicht mehr anders, sind wir Weltbürger.“

Geschärfte Wahrnehmungen

Es war die Lesereise der Kulturstiftung der Öffentlichen Versicherungen Oldenburg, zu der wir am 30. Mai aufbrachen. Gemeinsam präsentierten wir den Reisebericht auf allen Stationen der herbstlichen Erkundungstour und sprachen vor einem jeweils ortskundigen Publikum über die Erfahrungen, die der Schriftsteller als Landgänger gemacht hatte. Die Städte und Landstriche, die er zuvor unter wolkigem Himmel durchfahren, durchwandert und durchrannt hatte, lernte Politycki so ein weiteres Mal kennen: unter sehr viel Blau und bestens ausgeleuchtet. Aber nicht nur das Wetter, auch die Mittel der Fortbewegung beeinflussten seinen Blick. Als routinierter Läufer, Marathonläufer sogar, lief Politycki während beider Reisen alle zwei Tage. Bei der Lesereise hatte er Tage zu Lauftagen erklärt, deren Stationen er bei der herbstlichen Tour nur gehend oder mit dem Mietwagen erkundet hatte. Das beschleunigte Laufen ist für ihn die beste Fortbewegungsmöglichkeit, um eine Umgebung intensiv zu erfahren. Die geschärfte Wahrnehmung beim Laufen sei allenfalls vergleichbar mit dem Blick auf eine Stadt oder eine Landschaft beim Fahrradfahren. Das verheißt beste Voraussetzungen für die Erkundungstour der zweiten Landgang-Stipendiatin. 2016 erhält die Schriftstellerin und Lyrikerin Marion Poschmann das Reisestipendium durchs Oldenburger Land. Sie wird mit der Bahn anreisen, die Rundtour im September jedoch auf eigenen Wunsch mit dem Fahrrad durchführen. Im Tempo für die geschärfte Wahrnehmung.