Aschenputtel

Märchenstunde im Oldenburger Theater Laboratorium

Immer dasselbe: Der Prinz bekommt das Mäd­chen und sie sind glücklich bis an ihr Lebens­ende – so kennen wir unsere Märchen. Ganz anders wird die Geschichte vom Aschenputtel jetzt im Oldenburger Theater Laboratorium erzählt – nämlich im Rückblick. Das Mädchen aus der Asche ist mittlerweile eine erfolgreiche Mittvierzigerin – und zufriedene Königin. Sie freut sich über die neuesten Klatsch- und Tratschmagazine, erhält Förderanträge von Museen und macht beim Brotbackwettbewerb der Landfrauen mit. Ihre täglichen Verpflichtungen als Landesherrin sortiert ihr Frau von Unruh. Als Ministerialdirigentin, zeitgemäß im dunkelblauen Kostüm, plant sie alle Termine minutiös durch – aber heute hat die Königin keine Lust auf das höfische Programm, denn vor 40 Jahren ist ihre geliebte Mutter gestorben. Damit beginnt eine Zeitreise in ihre Kindheit. Ein altes Foto­album wird geöffnet und die Königin erzählt, wie alles geschah – nachdem ihr Vater eine neue Frau heiratete, die zwei Töchter mitbrachte. Barbara Schmitz-Lendes und Anja Hursie spielen überzeugend das einstige Aschenputtel und ihre strenge Sekretärin, doch sie übernehmen auch die Rollen der weiteren Protagonisten. Mit großem Schleierhut geben sie die böse Stiefmutter, schlüpfen mit Masken in die Rollen der gemeinen Schwestern und in die des Vaters, der vor dem Leid seiner Jüngsten die Augen verschließt. Mal bewegen sich die Darstellerinnen in der Gegenwart, mal wieder in der Vergangenheit. Die Szenenwechsel gehen fließend ineinander über, bruchlos wird der Zuschauer in andere Zeiträume versetzt. Das jugendliche Aschenputtel und ihr verliebter Prinz werden von nostalgischen Puppen dargestellt. Das Spiel mit den Figuren ist ebenso faszinierend wie der phantasievolle Einsatz von Licht. Als Schattenspiel fliegt eine große Schar Tauben herbei, als Aschenputtel die Linsen aus der Asche suchen muss. In einer anderen Szene lässt ein Spot den Baum, den das Mädchen einst gepflanzt hat, immer größer werden, bis er im entscheidenden Moment das Glück bringt. Vor dem Fest des Königs bittet sie ihn: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.“ Da wirft ein Vogel ein kostbares Kleid herunter und gestickte Schuhe. So kann das Aschenputtel zum Tanz mit dem Königssohn erscheinen. Was die eigentliche Erzählung des Märchens betrifft, so hält sich der Regisseur Pavel Möller-Lück klar an den Originaltext. Doch Drumherum leistet sich das Team einen großen Freiraum. Am Ende haben die beiden Frauen auf der Bühne über den bewegenden Rückblick schließlich das Brot für den Backwettbewerb vergessen, das sie während ihres Plauderns in den Ofen steckten. Vorzeigbar ist es nicht mehr, aber es bleibt immerhin die Chance, im nächsten Jahr mitzumachen. Einmal das Aschenputtel zu sein, bedeutet nicht das Unglück für immer. Man muss dem Schicksal – wie den bösen Schwestern – einfach nur trotzen und im Leben die Wendepunkte abwarten. Zufrieden schmieren sich die Königin und Frau von Unruh eine Scheibe Brot – mit Apfelmarmelade – selbst gemacht mit 3:1 Gelierzucker. Und während der frisch angeschnittene Laib vor sich hin dampft und den Raum mit Duft erfüllt, erntet das kleine Ensemble viel Applaus. Der Erfolg wird im Jahr 2015 durch ein Jubiläum einmal mehr bestätigt. 1979 gegründet, begeistert das seit 20 Jahren in Oldenburg ansässige Theater Laboratorium mit einem zauberhaften Hauch von Nostalgie das Publikum.